Wohin verschwindet der verstorbene Zwilling?

Wohin verschwindet der verstorbene Zwilling?
Wohin verschwindet der verstorbene Zwilling?

Dieser Artikel ist ein Auszug aus unserem Buch: Das Drama im Mutterleib →

Viele Embryonen verschwinden wieder, so dass später nicht mehr erkennbar ist, dass es einen zweiten Embryo gegeben hat.

Das Phänomen des Verlorenen Zwillings: Wenn ein Zwilling im Mutterleib verschwindet

Meistens verschwindet der verstorbene Zwilling –

– gerade als ich schreiben will, dass der Zwilling verschwindet, laufen zwei junge Eichhörnchen, zwei Geschwisterkinder, spielend und tänzelnd auf der Brüstung des Balkons vorbei, so als ob sie mich daran erinnern wollten, was wir in unserer Arbeit gefunden haben: nicht der Zwilling verschwindet, sondern sein kleiner Körper. –

– also – Meistens verschwindet der winzige Körper des verlorenen Zwillings auf immer unsichtbar in den Tiefen der Gebärmutter oder des Mutterkuchens, ohne äußerlich die leiseste Spur zu hinterlassen. Er wird vom Gewebe des Mutterkuchens absorbiert. Deswegen haben wir in unserer Arbeit mit über 25-jährigen Erwachsenen, bevor Ultraschall – untersuchungen üblich wurden, selten medizinische Fakten aus der Lebens geschichte des Klienten. Man konnte noch nicht sehen, dass rund zehn Prozent der Schwangerschaften in „Doppelausführung“ kamen.

In einigen Fällen wächst der gestorbene Zwilling in den überlebenden Zwilling ein. Dieses medizinisch spektakuläre Phänomen wird foetus in foeto genannt und gelegentlich in der Presse zitiert.

Die erfahrene Gynäkologin Dr. Annette Proksch aus Berlin berichtete uns, dass sie vor vielen Jahren eine schwangere Frau mit Ultraschalluntersuchungen begleitet hat, die mit Zwillingen schwanger war.

In der vierzehnten Schwangerschaftswoche starb einer der beiden. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits 14 cm groß und hatte feste Schädel- und Beinknochen entwickelt. Nach dem Tod des Zwillings hatte sie regelmäßig Unter – suchungen durchgeführt, um zu überprüfen, ob der Überlebende durch den toten Fötus nicht in Gefahr war. Er entwickelte sich jedoch gut weiter. Zu ihrer großen Überraschung stellte sie fest, dass der gestorbene Zwilling mit jeder Untersuchung immer weniger wurde und nach einiger Zeit absolut spurlos von der Bildfläche verschwunden war.

Er wurde vollständig und restlos von der Gebärmutterschleimhaut absorbiert.

Es gibt also Fälle, in denen die Gebärmutterschleimhaut selbst massives Knochengewebe wieder abbauen kann. Die Fresszellen des Immunsystems sind gelegentlich zu ziemlichen Wundern fähig. Manchmal gab es bei der Geburt allerdings Hinweise auf einen verloren gegangenen Zwilling.

Dieses wurde aber meistens den gebärenden Frauen verschwiegen, um sie nicht zu beunruhigen. Man wusste schon immer vom „Foetus papyracaeus“. Das ist der ab der 20. Schwangerschaftswoche verstorbene Zwilling. Dessen Körperwasser wurde von der Mutter wieder aufgenommen. Er liegt plattgedrückt und beinahe wie ein Blatt Papier in der Gebärmutter und wird bei der Geburt sichtbar.

Eine ältere Hebamme, die dieses gelegentlich gesehen hat, schilderte uns:

Es gibt Föten, die wie versteinert im Mutterkuchen eingewachsen sind. Sie sind in der späten Schwangerschaft gestorben, so dass dann ein Kind lebend zur Welt kommt und kurz danach noch ein verhärteter Klumpen, der an die Plazenta geschmiegt ist. Diese blassen Mumien nannte man Mondkinder. Laut einem kirchlichen Dekret durften diese früher nicht beerdigt werden wie ein gewesener Mensch, der schon gelebt hat, sondern mussten diskret entsorgt werden. Oft haben die Mütter davon nichts erfahren.

Manchmal findet man in der Nachgeburt mehrere Plazenten. Pro Mutterkuchen gab es mindestens ein Kind. Manchmal findet man in einer Plazenta mehrere Nester, Reste von verlorenen Mehrlingen. Auch dieses wird heute noch oft den Müttern nach der Geburt verschwiegen

Ultraschallbilder von Zwillingen

Zwillinge im Ultraschall
Zwillinge im Ultraschall

Auf diesem dreidimensionalen Ultraschallbild siehst du die Köpfe von Zwillingen, Wange an Wange. Links unten ist ein Teil vom Gesicht des gestorbenen Zwillings zu erkennen.

Man schaue nach der Nase und erkennt dann das Bild. Er ist zwei Wochen zuvor gestorben. Es ist in der 20. Schwangerschaftswoche aufgenommen worden.

Dieses Bild lässt ahnen, wie eng der Kontakt von Zwillingen tatsächlich ist.

Man kann sich leicht vorstellen, dass es an dem Überlebenden nicht spurlos vorübergeht, wochenlang so nah das tote Geschwister an der Seite zu spüren. Zum einen bereitet der leblose Körper Angst, zum anderen wird der Andere vermisst.

Die Bedeutung des Mutterkuchens für das Kind nach der Geburt

Die Plazenta: Ein vergessener Zwilling?

Die Psychoanalyse glaubt, dass die Plazenta für das Kind eine besondere Bedeutung hat. Gleich einem Zwilling in der Gebärmutter war sie immer nahe. Der Fötus ist verliebt in die Plazenta, weil sie ein Teil von ihm ist.

So kann man mit psychoanalytischer Logik schnell deuten, dass die Geburt immer auch den Verlust des geliebten „Plazenta-Zwillings“ bedeutet. Dieser muss betrauert werden. So ist in der Psychoanalyse der Verlust eines Zwillings in Wirklichkeit einfach nur der Verlust des Mutterkuchens.

Wir können das in unserer therapeutischen Arbeit nicht bestätigen.

Die Plazenta – Philosophie und Kult in Bali und Australien

Etwas aber muss an der psychoanalytischen Idee dran sein: viele gestorbene Zwillinge sind in den Tiefen der Plazenta eingewachsen.

Auch in anderen Teilen der Welt hat der Mutterkuchen eine große Bedeutung:

Bei einigen Stämmen der Aborigines in Australien wird die Plazenta nach der Geburt einige Stunden lang zusammen mit dem Kind auf den Bauch der Mutter gelegt. Damit kann sich das Kind langsam abnabeln und sich von dem Mutterkuchen verabschieden.

In Bali wird nach der Geburt die Plazenta vom Vater des Kindes gewaschen und mit dem Samen eines Strauches vor dem Haus an einem besonderen Platz beerdigt. Dieser Platz ist dann während der ersten Jahre der Kindheit ein besonderer Gebetsplatz für die Eltern und das Kind, wenn es ihm nicht gut geht.

Als sehr heilsam empfehlen die Balinesen, etwas Erde von diesem Ort auf das Kind zu reiben, wenn es krank ist. Wechselt der später Erwachsene die Wohnung, sollte er etwas Erde von diesem Beerdigungsort seiner Plazenta mit zum neuen Wohnplatz nehmen.

Wissen die Balinesen, dass im Mutterkuchen ein verlorener Zwilling eingewachsen sein könnte, der erst beerdigt werden muss, um dann als Schutzengel zur Verfügung zu stehen?

Der eingewachsene Zwilling

Gelegentlich werden bei Operationen von Zysten und Geschwüren Haar und Zahngewebe und anderes ortsfremdes Gewebe gefunden. Man sagt, es handelt sich hierbei um den eingewachsenen Zwilling.

Wir haben uns oft die Frage gestellt, wie es kommen kann, dass das verstorbene Geschwister – also der verlorene Zwilling –  in den Überlebenden einwächst. Zunächst hatten wir das Bild, dass der Überlebende weiter wächst und um die Überreste des Verstorbenen herumwächst. Damit nimmt er ihn in sich auf. Manchmal ist das sicher auch der Fall (foetus in foeto). Aber wie kann es sein, dass das Gewebe des toten Zwillings noch weiterlebt, obwohl es nicht mehr durch die Nabelschnur ernährt wird und später, oft erst nach Jahrzehnten, im überlebenden Zwilling weiterwächst und Zysten bildet?

Nach gründlichen Recherchen haben wir eine überraschende Antwort gefunden: Nicht der verlorene Zwilling wächst weiter, sondern nur einige seiner Zellen.

Durch die Nabelschnur pulsiert das Blut des werdenden Kindes zum Mutterkuchen und tauscht dort mit dem Blut der Mutter Nährstoffe, Sauerstoff und Abfallstoffe aus. In dem embryonalen Blutkreislauf schwimmen aber nicht nur weiße und rote Blutkörperchen, sondern auch Zellen, die verschiedene Organe, Haut, Haare, Knochen und Knochenmark bilden können.

Wenn sich die beiden Mutterkuchen sehr dicht nebeneinander oder gar überlappend in der Gebärmutter ansiedeln, so kann es auch zu einem Austausch der Zellen unter den Zwillingen kommen, da das Immunsystem noch nicht fertig ausgebildet ist. So hat der eine Zwilling lebenslänglich Zellmaterial vom Anderen in seinem Körper eingebaut.

Lagern sich diese spezialisierten Zellen an der richtigen Stelle im Körper des Anderen an, so ist das meist kein Problem. Wenn sich diese Zellen aber an einer anderen Stelle anlagern, als von ihrer Funktion her vorgesehen, so kann mitunter Jahrzehnte später der überlebende Zwilling gutartige Wucherungen und entzündete Zysten bekommen. Diese Wucherungen enthalten dann ortsfremdes und möglicherweise genetisch fremdes Gewebe.

In Deutschland wird seit 2001 in der medizinischen Presse von einem überaus spektakulären Fall in der Universitätsklinik Magdeburg berichtet: Bei einer Frau, die bereits mehrere Kinder geboren hat und zweifelsfrei weiblich ist, wurde das Blut auf ihre Chromosomensätze überprüft.

Man fand den männlichen y-Chromosomensatz im Blut. Sie müsste also demnach ein Mann sein. Eine Bauchspiegelung zeigte, dass sie anatomisch eine ganz gewöhnliche Frau mit Eierstöcken und Gebärmutter war. In diesen Organen fand man die weibliche Zellausstattung mit zwei x-Chromo – somen. Sie hat aber einen lebenden Zwillingsbruder. Offenbar müssen in der Zeit, als sie ein Embryo war, blutbildende Knochenmarkszellen ihres Bruders über den Mutterkuchen in ihren Blutkreislauf gelangt sein und sich bei ihr im Knochenmark angelagert haben. In ihren Adern fließt gewissermaßen das männliche Blut ihres Bruders. Die Ärzte konnten es nicht glauben und haben immer wieder Tests gemacht. Die Frau ist und bleibt Frau mit männlichem Blut.

In der Medizin wird der Begriff „Chimäre“ verwendet. Dieser kommt aus der griechischen Mythologie und bezeichnet ein Feuer speiendes Mischwesen aus verschiedenen Tieren. Hier ist aber mit Chimäre ein „Mischmensch“ gemeint, der aus Zellen von verschieden Menschen gewachsen ist. Seit die Blutuntersuchungen so extrem verfeinert wurden, kann man übrigens auch bei jedem Kind einige Jahre nach der Geburt Zellen der Mutter nachweisen und umgekehrt im Blut der Mutter Zellen des Kindes.

Diese Tatsachen verdeutlichen, wie eng die Blutkreisläufe von Mutter und Kind, aber auch von Zwilling zu Zwilling miteinander verbunden sind. Bei zwei von unseren Klientinnen, bei denen wir einen verlorenen Zwilling entdeckt haben, mussten die Eierstöcke entfernt werden, weil dort Verwachsungen gefunden wurden. Bei der einen fand die Operation mit 17 statt, bei der anderen mit 40. Beide können keine Kinder bekommen.

Die Verwachsungen enthielten beide Male Haare, Knochen und Zahngewebe. Dieses brachten die operierenden Ärzte seinerzeit gegenüber den beiden Patientinnen nicht mit einem Zwilling in Verbindung. Entweder wussten es die Ärzte nicht, oder sie wollten die Patientinnen nicht mit dem Laborbefund schockieren.

Mittlerweile, zur dritten Auflage unseres Buches, haben wir festgestellt, dass Verwachsungen in den Eierstöcken gar nicht so selten sind. Rund jede zwanzigste Teilnehmerin unserer Seminare zum Thema „Heilungswege für allein geborene Zwillinge →“ hatte eine Operation an den Eierstöcken, bei der Dermoidzysten mit ortsfremden Gewebe – also möglicherweise Gewebe des Zwillings – entfernt wurde.

Die Gynäkologin Dr. Annette Proksch ist der Ansicht, dass nicht jedes Dermoid mit Haaren, Zähnen und anderen Gewebearten von einem verlorenen Zwilling stammen muss. Es kann auch körpereigenes Gewebe sein, dass sich „verlaufen“ hat. Die Psyche, so Dr. Proksch, konkret die starke Sehnsucht nach dem verlorenen Zwilling, kann die Eierstöcke animieren, Dermoide zu bilden. Eine Patientin, die über die Gynäkologin Dr. Samborskij zu uns kam, hat immer neue Dermoidzysten entwickelt.

Auch Dr. Samborskij sieht einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Zysten und dem Verlust eines embryonalen Geschwisters. Sie sagte zu dieser Frau, dass sie so lange immer neue Dermoide bekommt, bis sie sich das Thema des verlorenen Zwillings angeschaut hat. Ob das Dermoid- oder Theratomgewebe tatsächlich Gewebe des verlorenen Zwillings ist oder aber vom Körper des überlebenden Zwillings produziert wird, ist für das seelische Loch des allein übrig gebliebenen nicht von Bedeutung.

Alle Frauen, auch diejenigen, die zu allgemeinen Therapieseminaren zu uns gekommen sind und uns von ihren Dermoidzysten berichtet haben, hatten einen Zwilling verloren. Dieses stellte sich im Laufe der therapeutischen Begleitung heraus. In unserem Bekanntenkreis haben wir mehrfach davon gehört, dass sich jemand „einen Zwilling“ wegoperieren ließ.

In diesen Fällen waren die gutartigen Tumore im unteren Rücken oder am Gesäß. Der Älteste war 60, als der Zeitzünder losging. Das heißt also, dass der Träger des Theratoms, so nennt man diese Art Geschwür, fast 60 Jahre körperlich symptomfrei Gewebe seines Zwillings oder verirrtes körpereigenes Gewebe mit sich herumtrug.

Leider wird solches entfernte Gewebe niemals genetisch untersucht. Dieses halten wir für ein Manko der medizinischen Forschung. Bisher, so Dr. Proksch, scheint sich in der Medizin niemand dafür zu interessieren. Bei einer genetischen Unter – suchung würde man dann fündig, wenn es sich um Überreste eines zweieiigen Zwillings handelt. Sollte ein eineiiger Zwilling Spuren hinterlassen, ist das natürlich nicht feststellbar.

Der Horrorbuchautor Stephen King hat dieses Thema in seiner eigenen Weise plastisch in dem Roman „Stark“ verarbeitet. Wir geben hier den Inhalt wieder:

Mit rasenden Kopfschmerzen fällt der elfjährige Thad Beaumont ins Koma. Er wird ins Krankenhaus gebracht. Im Röntgenbild zeigt sich ein großer Tumor. Zufällig hat der beste Neurologe des Landes, Doc Pritchard, Dienst. Er zögert nicht, Thad zu operieren. Nach der Öffnung der Schädeldecke rennt eine OP-Schwester schreiend weg. Doc Pritchard braucht einige Sekunden, um sich an das zu gewöhnen, was er sieht und ruft dann seinen Kollegen, um ihm etwas sehr Seltenes zu zeigen.

Inmitten der grauen bis zartrosa Gehirnwindungen liegt ein menschliches Auge, blind und missgestaltet. Das Gehirn pulsiert ganz leicht und das Auge pulsiert mit, als wolle es blinzeln …„Hier sehen wir, sagt Pritchard zu seinen Kollegen, den Fall, dass der Stärkere den Schwächeren absorbiert hat, was ihm aber nicht vollständig geglückt ist. Dieses ist medizinisch sehr selten. – Meinen Sie, dass es Kannibalismus im Uterus gibt? fragt Loring, sein Kollege. – Nennen Sie das, wie Sie wollen.“
(Stephen King „Stark“, englischer Titel „The dark half“ 1989)

Wie im richtigen Leben klärt in dem Roman der Arzt die Eltern des Jungen nicht über den Inhalt des Tumors auf. Vollständig geheilt wird der Junge später entlassen. Er wird ein erfolgreicher Schriftsteller. Dieser erfundene Fall zeigt seelischen Tiefgang.

Woher kommt Stephen King auf so etwas? Aus welcher Quelle schöpft er? Es muss so etwas wie ein kollektives Unbewusstes zu diesem Thema geben. Ein intuitives Wissen um die Dynamik eines verlorenen Zwillings. Oder ist Stephen King möglicherweise selbst ein Betroffener? Reflektieren seine Horrorgeschichten wie „Friedhof der Kuscheltiere“ vielleicht den Horror in der Gebärmutter, den mancher Zwilling erlebt? Wenn der Andere stirbt, aber als toter Embryo weiter in den Wassern schwebt und den Anderen berührt, wird aus einem einstmals guten Wesen ein bedrohliches „Monster“.

Die Seele des verlorenen Zwillings

Dieses Kapitel betrifft ein Thema, um das sich die so genannte exakte Wissenschaft herumwindet. Es ist für das rational-logische Herangehen der exakten Wissenschaft bedrohlich, sich damit zu beschäftigen, ob es eine Seele gibt oder nicht. Als Gegenpol zur Terrorisierung der Menschen durch kirchliche Macht und durch kirchliche Angstbilder wurde während der Aufklärung der Begriff Seele beinahe abgeschafft. Damit war Platz für ein freies und logisches Weltbild, in dem die Menschen gleichberechtigt waren. Wenn man sich anschaut, wie viel Unrecht und Leid unter dem christlichen Kreuz über die Menschheit gekommen ist, so ist eine Haltung, welche die Existenz der Seele leugnet, nur allzu verständlich.

In vielen Kulturen ist das Vorhandensein der Seele selbstverständlich. Es gibt deutliche Landkarten und Wegbeschreibungen darüber, was nach dem Tod mit der Seele geschieht. Bei uns ist die bekannteste Wegbeschreibung das Tibetanische Totenbuch. Wichtig für unsere Arbeit ist die Bedeutung der „ehemaligen“ Existenz eines weiteren Geschwisters in der Gebärmutter, die auf den Überlebenden weiterwirkt.

Wir schauen auf das, was wir als Wirkung gefunden haben: Oft ist der Andere oder die Seele des Anderen noch präsent. Nicht nur im Herzen desjenigen, der ihn verloren hat, sondern irgendwo außerhalb. Wo das ist und wie das aussieht, überlassen wir den Theologen, den Schamanen und Lamas. Wir müssen das nicht genau wissen, um damit arbeiten zu können.

Wenn wir unseren unruhigen Geist, der uns ständig mit Fragen bestürmt und der alles rational und wissenschaftlich präzise fassen möchte, beiseite lassen können und uns auf eine innere Sammlung mit offenem Herzen einlassen, finden wir viele Antworten auf das, was Seele sein könnte. Diese Antworten sind aber ohne Worte und ohne Ratio, jenseits des Verstandes.

Sie tauchen aus der Stille, aus einem leeren Geist auf. Wir tauchen in unserer Arbeit in das Mysterium Seele ein, ohne dabei deuten zu wollen. Wir schauen, dass wir Lösungen finden, mit denen es den überlebenden Zwillingen gut geht. In wohl jeder Familie dürfte es mindestens einen geben, der erzählt, dass er den Tod und den Todeszeitpunkt eines nahen Freundes oder Verwandten, der sich irgendwo in der Ferne oder in der Fremde aufhielt, gespürt hat.

Er hat dieses gespürt, ohne eine Nachricht zu erhalten und erst im Nachhinein seine Wahrnehmung durch die spätere Überbringung der Todesnachricht bestätigt bekommen.

Dieses Phänomen ist übrigens sogar im Tierreich nachgewiesen worden: Man nahm einer Kaninchenmutter die Jungen weg und brachte sie Tausende von Kilometern entfernt vom Aufenthaltsort der Mutter. In einer vollkommen strahlungsisolierten Kiste wurden sie per Stromschlag getötet. Zum Todeszeitpunkt wurde die Kaninchenmutter sehr unruhig.

Dieses ist kein Nachweis, ob es eine Seele gibt, aber der Nachweis, dass eine sehr feine Kommunikation zwischen Lebewesen möglich ist, deren Kanäle oder „Funkfrequenzen“ sich der Wissenschaft entziehen. Raymond Moody beschreibt eindrucksvoll in seinem Buch „Leben nach dem Tod“, dass eine Kommunikation zwischen den Toten und den Lebenden möglich ist.

Zwei Freunde verabredeten, dass derjenige, der zuerst stirbt, sich aus dem Jenseits beim Anderen meldet. Einige Jahre später stirbt der eine bei einem Motorradunfall und macht sich bei seinem Freund bemerkbar. Er gibt ihm Zeichen und Durchsagen. Ähnliches erleben wir in unserer Arbeit mit den verlorenen und den überlebenden Zwillingen. Von manchen überlebenden Zwillingen wird der Andere, wenn er erst einmal entdeckt ist, als Präsenz wahrgenommen.

Er wird erlebt als etwas, was um ihn herum als eine Anwesenheit spürbar ist. Für manche ist er ein Schutzengel, der in gefährlichen Situationen ruft und warnt, für andere ist die Präsenz des gestorbenen Zwillings eine Wissensquelle. Manche berichteten uns, dass der gestorbene Zwilling nach seiner Wiederentdeckung erst einmal sehr nah beim Überlebenden war, um sich dann nach einer Zeit in den Totenschlaf zurückzuziehen. Manche allein geborene Zwillinge reden mehrfach in der Woche mit dem Anderen.

Einige Halbzwillinge ziehen sich nach einer Zeit des Trauerns ganz von dem Anderen zurück und leben mehr ganz, mehr heil, ihr eigenes Leben. Diese Klienten sind heilfroh, endlich verstanden zu haben, was ihnen gefehlt hat und sind dann in Frieden mit sich und dem Anderen, der woanders ist.

Wir kennen eine Halbzwillingsfrau in einem Nachbarland, die aus ihrem Schicksal eine große berufliche Laufbahn gemacht hat. Sie ist Lebensberaterin geworden und „channelt“ Ratsuchenden wichtige Hinweise über ihr Leben. Sie fragt dabei immer ihren Zwillingsbruder in der anderen Welt und hört innerlich Antworten, die sie dann den ratsuchenden Klienten mitteilt. Diese Frau ist in der Verbindung mit ihrem Zwillingsbruder so gut in ihren Beratungen, dass sie auf zwei Jahre im voraus voll ausgebucht ist.

Davon träumen viele Therapeuten und andere selbständige Berater, selbst Ärzte. Allerdings zahlt die Frau in ihrer Seele einen sehr, sehr hohen Preis: Die Liebe zu ihrem gestorbenen Zwillingsbruder ist so groß, dass in ihrem Leben kein anderer Mann je wirklich einen Platz an ihrer Seite einnehmen konnte. Eine glückliche Paarbeziehung blieb ihr verwehrt. Wir kennen persönlich einen gefragten Komponisten, der Filmmusik für bekannte Filme komponiert. Auch er hat einen Zwilling verloren

. Er schilderte uns, dass er die Melodien hört, die ihm von seinem Zwillingsbruder aus der anderen Welt vermittelt werden. Daraus entsteht die Filmmusik. Wir haben beobachtet, dass der überlebende Zwilling für seine Heilung Kontakt zu dem Anderen, der gegangen ist, aufnehmen muss.

Für die Heilung ist es nicht entscheidend, ob dieser Kontakt zum Anderen als inneres Bild im Herzen geschieht, so wie man beispielsweise Kontakt zu seinem inneren Kind aufnehmen kann oder ob der Kontakt zur Seele des Anderen, die irgendwo da draußen existiert, geschieht.

Vielleicht ist es etwas von beidem: dem inneren Bild vom verlorenen Anderen, das man in seinem Herzen trägt und etwas von der tatsächlichen Seele des Anderen.

Beim Wiederentdecken des verlorenen Zwillings mit der Hilfe von Stellvertretern oder wenn der Betroffene selbst den Platz des Anderen einnimmt, haben wir immer wieder gesehen, dass der Gegangene dem Überlebenden sehr wohlgesonnen ist. Der Gestorbene ist einfach froh, wenn es dem Anderen gut geht und er ein gutes Leben und einen lieben Partner hat.

Niemals ist der gestorbene Zwilling dem Anderen böse. Wenn der Bleibende todunglücklich ist und vielleicht sogar durch waghalsige Unternehmungen oder schwerste Krankheiten dem Anderen folgen will, ist der gestorbene Zwilling unruhig und unzufrieden. W

enn der Stellvertreter oder der Überlebende selbst in einer Aufstellung den Platz des gegangenen Zwillings einnimmt, fühlt er häufig folgendes: „Mein Unglück, es nicht geschafft zu haben, kannst Du nicht wieder gut machen, indem Du Dein Leben nicht annimmst und genießt, das macht es nur schlimmer“.

Gelegentlich haben wir in Aufstellungen sogar Stellvertreter für den gestorbenen Zwilling beobachtet, die regelrecht ärgerlich wurden, wenn der Andere sein Leben nicht in die Hände nimmt und es verachtet.

Quellenverzeichnis und Literaturhinweise

Dr. med. Anette Proksch, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe frauenaerzte.de/annetteproksch ↑

Foetus in Foeto:  wikipedia.org/wiki/Foetus_in_foeto ↑

Austermann, Alfred R. und Bettina: „Das ist nicht Tante Frieda – Der verlorene Zwilling in einer Familienaufstellung“, PDF zum Download ↓; in „Systemische Aufstellungspraxis“ 1/2006

Austermann, Alfred R.: „Sterben und danach – Eine liebevolle Totenbegleitung ↑“ Artikel zum Nachlesen auf ifosys.de; in „Systemische Aufstellungspraxis“ 3/2006

Austermann, Alfred: „Verwirrungszustände gelöst – Die Integration von Täter und Opfer als Aufstellungsritual ↑“ Artikel zum Nachlesen auf ifosys.de; in „Praxis der Systemaufstellung“ 1/2009

Babcock, Brent: „My Twin Vanished – did Yours? ↑”, Tate Publishing 2009

Janus, Ludwig: „Der Seelenraum des Ungeborenen“, Walter Verlag 2000

King, Stephen: „Stark“ engl. Original „The dark half“,

Heyne 1989 Levi, Salvator: belgischer Ultraschall-Untersuchungs-Pionier, hat zahlreiche Zwillingsuntersuchungen durchgeführt und Fachartikel geschrieben. Mehr über die Entwicklung von Ultraschalluntersuchungen unter www.ob-ultrasound.net/levi.html ↑